Weltklimakonferenz in Rio – 30 Jahre danach

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Im Mai diesen Jahres habe ich mir das Kapitel über die Weltklimakonferenz in Rio in Alain Lipietz’ Buch Berlin, Bagdad, Rio erneut durchgelesen. Das Buch ist vor genau dreißig Jahren erschienen. Die beiden ersten Teile über Berlin (der Fall der Mauer und das Ende des Ost-West-Konflikts) und Bagdad (die „neue Weltordnung“) sind inzwischen in vieler Hinsicht überholt. Der Abschnitt über die Weltklimakonferenz in Rio ist dagegen immer noch aktuell. Es ist sogar erstaunlich, wie wenig sich geändert hat und wie wenig im Hinblick auf den Klimaschutz tatsächlich geschehen ist.

Alain Lipietz: Berlin, Bagdad, Rio

Vor dreißig Jahren schätzte Lipietz, dass wir noch 40 Jahre haben, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Davon sind jetzt noch 10 Jahre übrig. Und das ist auch genau der Zeitraum, den das IPCC den Regierungen der Welt jetzt noch einräumt. Das Schlimme ist, alle Maßnahmen, die wir (bzw. unsere Regierungen) jetzt beschließen, brauchen Jahre, bis sie wirksam sind. Die Zeit rennt uns davon. Aber statt alle Ressourcen in den sozial-ökologischen Umbau zu setzen, investieren wir in neue Infrastruktur für fossile Energieträger.

Lipietz beschreibt die Strategien der wichtigsten politischen Akteure Anfang der 1990er Jahre als unentschlossen und ambivalent:

  • Jacques Delors hat als Präsident der Europäischen Kommission die Idee verfochten, dass die Europäische Union bei der sozial-ökologischen Transformation vorangehen müsse, um damit globale Maßstäbe für eine nachhaltige Wirtschaftsform zu setzen – ähnlich wie Roosevelt mit dem New Deal ein Wirtschaftsmodell geschaffen hat, das als „American Way of Life“ in die ganze Welt exportiert wurde.
  • Die Europäische Union biete sich auch deshalb als Vorreiter an, weil sie eine Art Mikrokosmos darstelle, in dem die sozialen Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern fast ebenso ausgeprägt sind wie die Unterschiede zwischen globalem Norden und Süden.
  • Delors kann sich mit dieser Postion im Ministerrat aber nicht durchsetzen.
  • Im globalen Maßstab besteht der Konflikt darin, dass die Länder des globalen Südens befürchten, durch Auflagen zur Reduzierung von Treibhausgasen in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung blockiert zu werden. Sie sahen das teilweise als neue Form des Protektionismus der Industrieländer.
  • Innerhalb der Länder des globalen Südens gibt es einen Konflikt zwischen den wirtschaftlichen und politischen Eliten (die in Lateinamerika in der Regel Nachfahren der Kolonialmächte sind) und kleinen NGOs, die aus der indigenen Bevölkerung heraus entstanden sind. Die ersteren beanspruchen das Recht auf eine nachholende Industrialisierung und lehnen strenge Klimaschutzvorgaben ab, die letzteren treten für einen starken Klimaschutz ein, weil der Klimawandel ihre Lebensgrundlagen in besonderem Maße gefährdet.

Im Grunde hat sich an dieser Konstellation wenig geändert. Die Konflikte innerhalb des globalen Südens treten möglicherweise noch schärfer hervor – wie besonders das Beispiel Brasiliens zeigt. Ursula von der Leyen ist sicher nicht mit Jacques Delors zu vergleichen. Aber während Klimaschutz und ökologische Transformation der Wirtschaft in den Kommissionen davor kaum eine Rolle spielten, hat sie den European Green Deal zum zentralen Punkt ihrer Agenda gemacht. Ihr Vize Frans Timmermans hat angesichts des Kriegs in der Ukraine betont, dass die sozial-ökologische Transformation nun dringender ist denn je. Wieder sind es die Regierungen der Mitgliedsländer, die den Prozess blockieren und den European Green Deal durch seltsame Beschlüsse wie die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie für „nachhaltige“ Investitionen verwässern.

Was sich geändert hat: Inzwischen sind die Folgen der globalen Erwärmung überall sichtbar. Uns bleiben nicht mehr 40 Jahre zum Handeln, sondern kaum mehr 10 Jahre. Die 1,5-Grad-Schwelle wird wahrscheinlich schon früher überschritten. War vor dreißig Jahren noch ein allmählicher Umbau der Wirtschaft denkbar, stehen uns nun dramatische Veränderungen in kurzer Zeit bevor. Denn auch wenn wir mit Business as usual fortfahren, werden Extremwetter und andere Folgen der globalen Erwärmung unser Leben grundlegend verändern. Da erscheint mir der Versuch, durch einen gezielten Umbau unserer Wirtschaft die globale Erwärmung zu begrenzen, vielversprechender.

Literatur

Lipietz, Alain (1992): Berlin, Bagdad, Rio. Le XXIe siècle est commencé. Paris: Quai Voltaire (Parti pris). – ISBN 2-87653-140-2

Das Buch steht auf Website von Alain Lipietz als Scan (7 MB) zum Download zur Verfügung.

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Kategorien Europa, Sozial-ökologische Transformation